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Ulrike Damm liest aus ihrem aktuellen Roman „Die Poesie des Buchhalters“.
Frühling 2025 / Video: Ulrike Schrimpf

„Ich erinnere mich an die Zeit, als ich Lesen und Schreiben lernte. Da hatten Buchstabe und Wort noch Wert und Klang. Auf viele Buchstaben ist kein Verlass. Das ist nicht schlimm, solange man es weiß. Das E zum Beispiel ist so ein Buchstabe. Es wabert herum zwischen Klang und Laut und kann sich nicht entscheiden, was es sein will. Am Wort Ende kann man das erkennen; es kommt zweimal ein E vor aber vorne klingt es anders als hinten, und in keinem Fall fährt es mit voller Kraft. Es ist, als bliebe es auf halber Strecke hängen. Unverrichteter Dinge bricht es seinen Klang ab. Anfang und Ende des Endes sind also unbefriedigend. Beim Wort Ehre zeigt das E, was es eigentlich drauf hat: ein Platzhirsch sein, hinter dessen breitem Klang die anderen Buchstaben zurückfallen, da hilft auch das an sich kraftvolle R nicht. Den Erfolg bei Ehre hat das E hier dem H zu verdanken, das eigentlich unbedeutend ist. Nur als Hauch hat es das H noch nicht einmal zu einem Laut gebracht. Auch das I spart mit seinen Reizen. Um zur Hochform aufzulaufen nimmt es sich das E als Stützstrumpf zu Hilfe, will höher springen. Dann zeigt es, was es kann, singt das höchste Lied. Aber ohne Stützstrumpf bleibt es armselig, in seinem Klang kaum beschreibbar. Was wäre die Liebe ohne Stützstrumpf?“ Aus „Die Poesie des Buchhalters“, DRAVA, 2025
Die Poesie des Buchhalters, Frühjahr 2025

LESUNG Ulrike Damm
MODERATION Marko Martin
962 Meter
Auf 962 Meter Seidenpapier schrieb die Autorin und Künstlerin Ulrike Damm ihren Roman „Kulp und warum er zum Fall wurde“ handschriftlich ein zweites Mal.

INSTALLATION VON UND MIT Ulrike Damm, 2021
SPRECHER Tobias Büchner
KAMERA / TON / MONTAGE Sabine Herpich
COLOR GRADING Florian Lampersberger
ULRIKE DAMM SCHREIBT,
Frühling 2020 / Dokumentarfilm / 13 Min. / Zionskirche, Deutschland 2020

Ein Film von Sabine Herpich, 2020
Die Poesie des Buchhalters – Ausstellung
Drei Texte hat die Berlinerin Ulrike Damm seit 2013 in kurzer Aufeinanderfolge geschaffen: „Ich bin nicht müde, ich bin verrückt“ (2012) erzählt die Geschichte der eigenen Mutter, die an Alzheimer erkrankt, ihr Leben vergisst und verliert. In dem Roman „Musik stört beim Tanzen“ (2014) ist das Schweigen beschlossene Sache der Protagonistin, die nicht mehr mitspielen mag. Sie hört auf zu Sprechen und lebt anderthalb Jahre in einem Heim für Demente. Aus freien Stücken entzieht sie sich jedem Kommentar, gewinnt Eigenständigkeit und Weisheit zurück, die in ein Tagebuch mündet.

SCHNITT: Sarah Levine, 2017